Volvox unterm Maibaum

Volvox, einer der ersten Mehrzeller, kugelrund und zur Fortbewegung mit zwei Geißeln ausgestattet, tanzt, so hat man jetzt herausgefunden, in der Gruppe, um Strömung im Wasser optimal auszunutzen. Ob Ballett oder Menuett (so die wissenschaftlichen Bezeichnungen), er nutzt die Bewegungen gleich zur optimalen Fortpflanzung. Asexuell macht keinen Spass, hat er sich vielleicht gesagt. Obwohl der Lustfaktor eine Rolle spielt, würde meiner Person eine Fortpflanzung durch Zellteilung auch ganz gut tun. Allein die Vorstellung auf einen Schlag viele Kilos zu verlieren wäre verführerisch. Aber, wenn ich mir überlege, in unserer Straße wohnen nur noch solche wie ich, die ihr Auto nicht waschen und auch nicht alle 3 Tage den Rasen mähen. Am Ende eine Masse von Exzentrikerindividualisten-Kopien? Da behalte ich mir doch lieber meinen persönlichen Volvox über dem Gürtel und lausche dem Gespräch zweier Freunde der Maifortpflanzung.

Der Mai ist vorbei - doch getanzt wird immer noch

Ich habe was Interessantes gelesen.
– Wos denn nachert?
Volvox tanzt.
– Häh?
Auch im Ballett
– Was is mit’m Volvo?
Nicht der Volvo – der Volvox?
– Was is’n da der Underschiiiied?
Das eine ist ein Auto und das andere ein Mehrzeller, genauer gesagt eine Grünalgenform. Eine der ersten Lebewesen auf unseren Straßen, äh Planeten.
– Und des Folfocks kann dansn?
Ja, mit Partner und in der Gruppe.
– Warum macht der ezat des?
Wie so oft im Leben spielt hier auch die Fortpflanzung die zentrale Rolle.
– S’folfocksex?
Diese kugelförmigen Lebewesen können sich asexuell, durch Zellteilung, aber auch sexuell fortpflanzen. Zu Letzterem führen sie häufig einen rhythmischen Tanz auf.
– Sowas wie der Meedans am Meebamm?
Naja, das lässt sich nicht vergleichen. Der Tanz um den Maibaum hat eher kulturelle Wurzeln.
– A Gulduurwurz?
Früher, damit meine ich Germanen, Kelten, Steinzeit und vorher, war es ein entscheidender Überlebensvorteil, wenn die eigene Gruppe oder Stamm stark und groß war.
– Ich weiß Bescheid. Für a Gulduur brauchst viele Gulduurträcher.
Natürlich ja. Aber es geht hier um das ganze Kapital eines Stammes.
– Des had der Bürchermeester auch immer gsacht. Für Gulduur is zuwenich Gabitaal im Seggel.
Das Kapital war in der Vorzeit ein anderes. Es waren die Fertigkeiten, die ein Stamm hervorgebracht hat. Die Früchte sozusagen, die man sich zum 1. Mai an den Maibaum gehängt hat.
– Dou hams Ferdigdinger hiighängt?
Was sie genau hingehängt haben, weiß ich nicht, aber heutzutage sind das Zunft- oder Vereinsymbole.
– Vielleicht gar die Köpf erschlaaachener Feinde?
Oder doch etwas mit Frucht und Fruchtbarkeit. Sieh dir doch mal den Maibaum an. Was siehst du?
– An nackerten Bamm mit Wipflspitz. Drunda hängt a Adfendskranz.
Man könnte auch sagen, der Baum durchdringt den Kranz.
– Und nachert?
Denke dir die Symbolik, die dahinter stecken könnte.
– Weihnachten im Frühling?
Es geht doch hier nicht um Weihnachten.
– Ach du meenst Fruchtbarkeit im Mee. In aaner lauen Meenacht.
Richtig. Nicht nur dem Samen auf den Feldern wünscht man Wachstum und Reifung – auch den Menschen, den Stammesmitgliedern.
– Du verzählst mir jetzt werklich, dass der Meebamm und der Meekranz es mittanander treibn tun machn? Was socht den da der Herr Pfarrer dazu?
Nichts sagt er dazu. Während in der Vergangenheit munter alle heidnischen, das heißt keltische und germanische Festlichkeiten christianisiert wurden, man denke nur an Weihnachten und Ostern, hat die Kirche vom 1. Mai die Finger gelassen.
– Des is ja auch der Tach der Arbeet
Das kam doch erst viel später.
– Du meenst wegen dem Dings, dem Bumms, dem Sex?
Bei den Kelten fand am 1. Mai das Beltanefest statt. Es ging um Fruchtbarkeitsriten.
– Sex und Arbeet?
Zur Stärkung des Stammes oder der Sippe.
– Mei Fraa werd sachn, des is bei iihrm Mo desselbige.
Und der Maitanz ist eine zeitgemäße Variante der damaligen Riten und Gebräuche.
– Und des wees der Algnschleim?
Laue Frühlingsnächte nach einem langen kalten Winter hat auf viele Lebewesen Einfluss.
– Wesst was ich etzetla mach?
Was machst du denn jetzt?
– Ich keff ma an Meebamm.
Warum denn das?
– Zu Weihnachten hab ich an Weihnachtsbaum. Zu Ostern an Osternest. Jetzt moch ich zum erschten Mee an Meebamm ham.
Was magst du denn mit einem eigenen Maibaum anstellen?
– Na des Dings für die eigene Gruppe und so. Wie der Schleimboorsche, der Folfocks im Volvo.
Was hängst du als Symbolik an deinen Maibaum?
– Na Fruchtdingszeuch.
Zum Beispiel.
– Wo mei Fra ihr Obschd drin had.
Eine Obstschale?
– Ne an Beeehaaaa.
Ich glaube nicht, dass das deine Position in der Gruppe, sprich: Nachbarn und Freunde, stärkt.
– Nedda?
Bestimmt nicht.
– Aba als zu Weihnachtn mei Fra an eklektrischen Lichterkranz in a Fenster gstellt had, ham sich die Nachbarn a an neigstellt, aber in a jeds. Und als mir dann die klaane Fichtn mit ner Kettn beleuchtet ham, war am nächstn Tach des ganze Haus von de andern geschmüggt.
Was glaubst du, was passiert, wenn du jetzt mit einem Fruchtbarkeitssymbol kommst?
– V’leicht a an Bamm und mit nem Riesnstring oder a Beehaale vom Weibatz?
Ich glaube trotzdem nicht, dass das gut ankommt. Und bei deiner Frau sicher auch nicht?
– Nedda?
Weil die weiß worauf das früher rauslief.
– Worauf denn?
Fortpflanzung.
– Mei Göddle naaa! Ich hab schon zwa so Frichtla.
Dann betrachten wir besser das Wesen des Volvox wissenschaftlich.
– Oder, ich gugg ma beim Meedanz nur die nackerden Bee an … ääähh … wissenschaftlich des Balledd an und halt mich an mei Viertele.

So ist es recht.

(Bildnachweis: © Carolinchen. / photocase.com)