Haiku-Kaktus

HAIKU - Momentum japanischer Lyrik

Haiku ist eine japanische dreizeilige Gedichtform. Die erste enthält 5 Silben, rx die zweite 7, die dritte wieder 5. In einer modernen Variante wird häufiger auf die exakte Silbenzahl, zugunsten der Aussage, verzichtet. Wikipedia: Ein Haiku ist eine Momentaufnahme. Es wird genau beobachtet, eine Stimmung zum Ausdruck gebracht. Oft ergibt sich ein Gedankensprung … Da traditionelle Haikus aber mehr der Natur zugewandt sind, ist es eigentlich ein Senry?, welches ich einfach mal ausprobieren musste.


5 sind der Worte
Wandeln sich zur Mystik-7
Doch die erste bleibt.

Seltsam scheinen mir die japanischen Verse. Wie aus Schilf geschnitten. Im festem Muster. Doch so fest der Rahmen die Form auch diktiert. Der Inhalt erhebt sich wie mit Flügeln über die 3 in 5 und 7 und 5. Doch wie fügt sich das in ein Alltagsleben?

Mit 5 erschienen
Die ersten Geschichten mir
Bleiben ein Leben.

Im Alter von 7 Jahren hätte ich sie dann mit krakeligen Kreidestrichen auf meine Schiefertafel malen können. Doch ich mochte die große Fülle noch nicht in wenige Worte fassen.

Erst kreischt die Kreide,
Die Tinte tropft aufs Papier.
Der Geist ist schneller.

Was solls. Welchen Grund gibt es die Welt in Buchstaben zu zwängen? Zu wissen, dass es 1000 Seiten werden sollten, aber man nur Geduld für 1 hat – lässt den Stift schnell sinken.

Nur 24
Gutturale Lettern schwarz
Die Welt ist größer.

Später, nach vielen Jahren Leben, Liebe, Leid und Freud – sowie der Erfindung meines handlichen Laptops ging es dann los. Die kleinen Schreibfenster im Window, im Windloch, verschwiegen mir raffiniert, wieviel schon hinter mir und wieviel noch vor mir steht. Konzentriert glänzt die Gegenwart.

Wie kam sie hierher
Wohin denn will sie gehen
Die Flut im Tropfen.

Nur gestört durch die technisch kalte Meldung: Denken Sie an Ihr Antivirus-Update. Das Böse lauert überall. Los des Fortschritts. Der Warnruf für eine Gefahr, die es ohne Laptop nicht gäbe, poppt das Fantasie-Fenster zu.

Seele flieg davon
Weit über das kalte Land
Trojaner-Check now!

Doch noch etwas anderes ist wichtig, um seine Gedanken auf Papier – seine Tipps (von Tippen) auf Bytes zu bekommen. Die Muse. Egal, ob beim Fernsehen, Kochen oder der Gummibärchenjagd. Sie muss da sein. Wie die Allgegenwart des virtuellen Fensters.

Blond wallendes Haar
Deine Liebe adelt mich
Die Ideen fliegen mir zu

Die Texte werden länger, die Inhalte tiefer. Die Geschichten weiter, die Charakteure vielschichtiger. Selbst die Bösen erhalten liebenswerte Seiten. Die Guten sind es nicht nur. So wird die Welt hinter diesem Fenster immer größer, doch der Ausschnitt lässt nur die Gegenwart durch. Wenn dies im Leben gelingt, spricht man von Meditation. Nur das „Ich bin“, mit Betonung auf „bin“ und Vernachlässigung des „Ich“ und dem ganzen Rest. Fehlt nur das Window für den Geist, damit man sich nicht durch das Leben geprügelt fühlt aus Schuld und Leid der Vergangenheit und Angst vor der Zukunft. Vielleicht statt dessen Freud von früher und Hoffnung auf später. Oder eben freies „bin“.

Doch die Geschichten
des Lebens unmittelbar
schreiben Gedanken.

Das hieße im Umkehrschluß, dass ein Allinclusive-Lebenszeit-Urlaub im Elfenbeinturm der Weisheit völlig sinnlos wäre. Nicht eine Zeile würde treffen. Nicht ein Gedanke die Menschen bewegen. Dies würde bedeuten, wichtige Worte sollten den Menschen im Leben abholen, um ihn hierhin und dorthin zu führen. Aber was weiß ich schon?

Wissen weckt den Geist.
Der fliegt auf zu den Sternen.
Die Seele er-lebt.

Irgendwann werde ich den Stift aus der Hand, den Laptop von den Knien, den Geist von den Gedanken nehmen. Was bleibt? Steht mir der Sinn nach Unsterblichkeit? Vielleicht überlebt ein Text den Verfasser, vielleicht eine Zeile den Schreiber oder auch nur ein Wort dass bedeutungsvoll formuliert wurde. Vielleicht überleben mich auch nur die Moleküle, der Kohlenstoff in meinen Proteinen, der Abdruck im Kalkstein nach Jahrmillionen. Was solls! Wohin geht die Flamme einer Kerze, wenn sie verlischt. Glimmt sie weiter hinter den Augenlidern der Betrachter? Oder hat sie hinterher vorher nie existiert?

Glut im Ofen glüht
Das All schöpft Atome neu
Ich frage warum.

Mir scheint, unser kleines Leben ist gleich einem Keuschheitsgürtel, der uns von den süßen Geheimnissen fernhält, bis wir … doch dies produziert sicher nur der rote Wein, der über Lippen, Zunge, Rachen und Adern, bis in die Bytewindungen unter dem immer weißer werdenden Haar geschlichen ist.

Warum nur, warum?
Nach Antwort sucht ein Leben.
„Jetzt“ hab ichs entdeckt.

Egal. Es scheint mir egal. Manchmal blicke ich in die Tiefen und in die Höhen. Doch manchmal nur durch mein Windloch ins „Jetzt“.

Ich glaub mir kein Wort.
Keine Letter bindet was.
Fabuliere weiter.

(Bildnachweis: © photoflow - Fotolia.com)