Zärtlich wie Seladon

Des Bratkartoffelverhältnisses zweiter Teil mag Seladons Zärtlichkeit sein. Was will der alte Mann mir damit sagen, werden Sie fragen. Die Antwort ist einfach: Beides sind Begriffe unserer lebendigen Sprache, die schon das Prädikat ‚Oldtimer‘ tragen müssten. Sie werden nicht mehr hergestellt, bzw. verwendet. Schade eigentlich, trägt doch die Seelenliebe Seladons mehr der mystischen Kraft in sich als die Popp(!)kultur der körperorientierten Moderne.

»Man könnte vielleicht sagen, daß Du eine Schönheit bist. Du brauchst da nicht zu erröthen. Es ist ein Unterschied, ob ein Vater oder ein schmachtender Seladon diese Worte sagt.« (aus: Karl May, Der verlorne Sohn,1884)

Seladon wo bist du?

Eine Redewendung, die zu Recht vergessen wurde? Dabei war sie noch neulich, in der Zeit, die man literarisch und musisch die Romantik nennt, in aller Munde. Gut, zu jener Zeit konnte man als Mann auch noch selbstbewusst ein Bäuchlein tragen und galt damit als betucht und gesetzt; für mich ein Traum. Es würden die Ledigen grazil knicksen, bis ich den Reiz des Dekolletés mit verbundenen Augen in Öl oder Aquarell huldigen könnte und die Verheirateten gleich Haremsdamen meine Person anschmachten, die sie von Ferne verzaubert.

Doch heutzutage? Knackarsch statt Gutsituiertenbauch. Anmachspruch statt Liebeshymnus. OneNightStand statt Naturbetrachtung mit Anstandsdame. Was ist passiert? Warum
verschwand der zärtliche Seladon; der schöne Adonis und der starke Herkules aber blieb?
Wenn ich von meiner sportlichen Jugendzeit, langanhaltendem Power-Kuscheln und den vielen Mägdeleins erzähle, die ich damals in meinem Schlafgemach zum Schäferstündchen gerne leiten hätte wollen, säuselt meine Frau nur lieblich: ich habe dich wegen deines Charakters genommen.

>>> von Adonis enttäuscht und Herkules verlassen <<<

Charakter??? Wo bleibt der Vergleich mit Adonis oder Herkules?, von mir aus mag auch der kraftvolle Araberhengst und der nimmermüde Stier herhalten. Aber Charakter? Das klingt wie, ‚er war wie ein süßer Zaunkönig und hat mich mit seinem Gezwitscher erfreut‘. Jetzt, im nicht mehr ganz jugendlichen Alter könnte wunderschön der Vergleich mit der Zärtlichkeit Seladons herhalten, der seine Geliebte Schäferin Astrée sanft in die Glückseligkeit wiegt. Aber der ist in den letzten 100 Jahren irgendwie verschütt gegangen. Nur noch Muskeln und Schönheits-OPs scheinen den Menschen begehrenswert zu machen.

Was wären eigentlich die Vergleiche für die holde Weiblichkeit? Schön wie Nofretete, scharf wie Mama Allpa (Fruchtbarkeitsgöttin der Inka mit vielen Brüsten) und unschuldig wie eine Jungfrau etwa? Ich sehe meine damalige Freundin vor mir, im knappen Bikini mit sinnlichen Lippen und verführerisch lockenden Augen; hätte ich sagen dürfen: Ich liebe dich wegen deinem guten Charakter? Sie hätte sicher flux die Beine übereinandergeschlagen, die Arme vor der Brust verschränkt und ich hätte die Fernsehzeitung gesucht.

Wie ungerecht ist das Geschlechterleben. Da überspringt die Frau Adonis und Herkules und meint angeblich in Wahrheit den Seladon im Mann und dieser lässt die zarte Tugend ‚Unschuld‘ links liegen und spricht offen von Schönheit und Wolllust.

Was ist die Moral von der Geschicht:

Adonis begehrt seinen Spiegel,
Herkules nur seine Kraft;
wenn  Seladon spricht mit zartem Reim,
kann der Handkuss erst der Anfang sein.

Die weise Weiblichkeit flüstert mir, Seladon ist mehr als nur Beiwerk und mehr als das, was am Ende nur übrig bleibt.  Uff, da hab ich aber nochmal Glück gehabt.

(Bildnachweis: © chriskuddl | ZWEISAM / photocase.com)